
Itzchak Belfer
„Mein Glaube ist Korczak“, sagt er. „Ein bisschen Korczak, das ist nicht Korczak!“
Itzchak Belfer, Tel-Aviv, Israel, wurde 1923 in Polen geboren, verlor früh den Vater und lebte mit fünf Geschwistern und seiner Mutter unter ärmlichen Verhältnissen, bis er 1930 in das Waisenhaus von Dr. Janusz Korczak kam, wo er bis 1938 ein neues Zuhause fand, das ihm nicht nur eine Erziehung zu einem, wie er sagt, „liberalen Menschen“ bot, sondern auch seine kreativen Fähigkeiten förderte. „Das Haus schuf eine Atmosphäre, in der ein Kind sich und seine Talente und Fähigkeiten entwickeln konnte. Und bei mir war eben das Talent zum Zeichnen und Malen angelegt, was Frau Stefa und Korczak auch schnell erkannt haben und mir das ermöglichten, indem sie mir alle nötigen Materialien zur Verfügung stellten und auch einen entsprechenden Raum, wo ich, wann immer ich wollte, malen und zeichnen konnte, ohne jegliche Kontrolle und Aufsicht.“1
Kurz vor der deutschen Besetzung Polens verlässt Belfer das Waisenhaus, wird 1939/40 in ein Arbeitslager gesteckt, aus dem er allerdings fliehen kann. Er schlägt sich durch die Wälder nach Russland durch und findet in einem Kohlebergwerk im Ural – trotz seines geringen Alters – Arbeit.
Als er am Ende des 2. Weltkrieges nach Polen und Warschau zurückkehrt, um seine Angehörigen zu suchen, findet er niemanden mehr vor. Statt dessen muss er erkennen, dass im neu zu ordnenden Polen immer noch – oder schon wieder – ein deutlicher Antisemitismus herrscht. Und so beschließt Belfer, nach Palästina auszuwandern, wo er nach einem – von den Engländern erzwungenen – Zwischenaufenthalt auf Zypern 1948 eine neue Heimat findet. Er studiert an der Kunsthochschule und ist bis heute unermüdlich als Künstler und Dozent für Kunstgeschichte in Tel-Aviv tätig.
Immer wieder thematisiert Belfer den Holocaust (auch bei internationalen Ausstellungen) und immer wieder kreist sein Schaffen um ein zentrales Motiv: Janusz Korczak. „Mein Glaube ist Korczak“, sagt er. „Ein bisschen Korczak, das ist nicht Korczak!“
Seine Bilder über das Warschauer Getto und die Shoa sind meistens in schwarz- weiß gehalten. Es sind düstere, aufrüttelnde, expressive und schmerzende Arbeiten, in denen er versucht, das Unsagbare zum Ausdruck zu bringen, in denen er das unbegreifliche Maß an Unmenschlichkeit sichtbar und greifbar machen möchte. Dies gilt auch für seine Skulpturen. Dabei fühlt er sich stets seinem Gewissen verpflichtet, die Tragödie der Vergangenheit nicht in Vergessenheit versinken zu lassen.
In seinen Arbeiten über das Waisenhaus, über den „alten Doktor“ und Frau Stefania werden Kindheitserinnerungen wach: Korczak – denkend, lesend, schreibend, erzählend… Korczak mit Kindern, Stefa mit Kindern… immer kommt der Respekt vor den Kindern und eine fürsorgliche, fast möchte man schon sagen: naive Liebe zu den Kindern zum Ausdruck.
Dabei bedient sich Belfer verschiedener Techniken: Kohle, Tusche, Graphit, Wasserfarben…
Seit einiger Zeit werden seine Arbeiten bunter, farbiger, fröhlicher, versöhnlicher.
Seit den frühen 90er Jahren ist Belfer mit Siegfried Steiger befreundet. Gegenseitige Besuche und Treffen fanden in Polen, Israel und Deutschland statt. Sie haben gemeinsame Buchprojekte verwirklicht und im Jahr 2003 das Korczak-Denkmal in Günzburg realisiert. „Korczak und die Kinder“, eine der beeindruckendsten Skulpturen des Künstlers Belfer hat seitdem in der Geburtsstadt des berüchtigten KZ-Arztes Josef Mengele ihren festen, mittlerweile auch viel beachteten Platz.Belfer gehört zu den letzten noch lebenden Zöglingen aus dem Waisenhaus in der Krochmalna-Straße 92.
Itzchak Belfers israelischer Bestseller „The Man Who Knew How To Love Children“ gibt es seit 2019 auch in deutscher Sprache.
Warum ich dieses Buch geschrieben habe…
Vor vielen, vielen Jahren, im vergangenen Jahrhundert kannte ich einen besonderen und außergewöhnlichen Mann. Einen Mann, den ich niemals vergessen werde. Sein Name war Dr. Henryk Goldszmit. Dr. Goldszmit lebte in Warschau, in Polen. Er war Kinderarzt, Erzieher und ein sehr bekannter Schriftsteller, der seine Bücher unter dem Pseudonym (Schriftstellernamen) Janusz Korczak schrieb. Da seine Bücher sehr bekannt waren, nannte ihn jeder bald – Dr. Janusz Korczak. Und so wollen wir ihn auch in dieser Geschichte nennen.
Nun, warum möchte ich euch von ihm erzählen? Der Grund ist, weil ich einer von ein paar hundert Waisenkin-der war, die das Glück hatten, von diesem wundervollen Mann aufgezogen zu werden. Er liebte Kinder und verstand sie, wie das noch nie irgendjemand vor ihm vermochte. Und bald wird auf dieser Welt niemand mehr übrig sein, der ihn als Kind kannte. Ich glaube, dass es für die heutigen Kinder sehr wichtig ist, zu wissen, wer Janusz Korczak war und warum jedes Kind, das das Glück hatte, ihn zu kennen, ihn niemals vergessen wird. Dr. Korczak, der Jude war, schrieb viele Bücher über die Not, die Kinder erfuhren – im Besonderen, jüdische Waisenkinder. Er träumte davon, den Waisen ein Zuhause zu bauen – und dieser Traum wurde durch die Unterstützung einer jüdischen Organisation wahr. Sie nannte sich „Hilfe für Waisen“. Durch die vielen gesammelten Spenden konnte ein neues Waisenhaus für jüdische Kinder gebaut werden. Das liegt nun schon über hundert Jahre zurück. Im Jahr 1912 konnten 85 Kinder ihr neues Zuhause beziehen, begleitet von Dr. Janusz Korczak, mit Fräulein Stefa Wilczynska an seiner Seite. Sie war die „Cheferzieherin“. Das Haus war wunderschön und groß, mit Stockwerken. In ganz Polen gab es kein vergleichbares Haus! Die Träume des Doktors begannen langsam Gestalt anzunehmen: Eine neue Welt für diese jungen Bewohner zu schaffen, die zum großen Teil keine Mutter und keinen Vater mehr hatten. Auch ich wuchs dort auf. Dort bekam ich, was keine andere Schule der Welt einem Kind wie mir hätte geben können. Als ich dort ankam, war ich ein sieben Jahre alter Bub, und ich verließ das Haus mit fünfzehn – praktisch als junger Mann. Nun erzähle ich euch über diese wunderbare Zeit in meinem Leben.