wir sind straubing - partnerschaften für demokratie
Studierende der Fachakademie für Sozialpädagogik und junge Bewohner des Nardiniheims der Bildungsstätte St. Wolfgang unternahmen eine gemeinsame Studienreise

Gedenkstättenreise nach Auschwitz-Birkenau und Krakau

Ein Kooperationsprojekt des Nardiniheims und der Fachakademie für Sozialpädagogik

 

April / Mai 2016

Eine außergewöhnliche und emotionale Form der Kooperation fand im Rahmen der Straubinger Partnerschaften für Demokratie ihren Höhepunkt : Studierende der Fachakademie für Sozialpädagogik der Ursulinen-Schulstiftung und junge Bewohner des Nardiniheims der Bildungsstätte St. Wolfgang unternahmen nach monatelanger Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus eine gemeinsame Studienreise nach Polen zu Gedenkstätten in Auschwitz-Birkenau und Krakau – in Sachen Inklusionsarbeit besitzt dieses Projekt Modellcharakter.

Interwiew mit Projektleiterin Iwona Roszkowski, Schwester Judith Reis, Leiterin der Fachakademie für Sozialpädagogik, ihrer Stellvertreterin Eva Bohrer und Roman Schaffner, zuständig für die Umsetzung der Partnerschaften für Demokratie in Straubing.

Straubinger Tagblatt:
Der Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers ist für jeden Menschen ein sehr aufwühlendes Erlebnis. Zusammen mit einer Gruppe von Menschen mit Handicap dürften die Eindrücke noch tiefer und emotionaler sein. Immer-
hin betrachtete die Ideologie der Nationalsozialisten Menschen mit schweren Behinderungen als nicht lebenswert – weswegen Tausende von ihnen in Vernichtungslagern oder sogenannten Euthanasieprogrammen sterben mussten. Frau Roszkowski, spielte dieser Aspekt für Sie als Projektleiterin eine Rolle bei der Vorbereitung auf die Reise?

Iwona Roszkowski:
Die Jugendlichen meiner Gruppe waren schon sehr weit in der Thematik vorgedrungen und haben auch selbstständig recherchiert. Menschen mit geistiger Behinderung werden in ihren Fähigkeiten oft unterschätzt und nicht als Individuum
wahrgenommen. Sie gelten als manipulierbar und oft wird ihnen das Recht, sich eine eigene Meinung zu bilden, verwehrt. Dazu wollten wir einen Kontrapunkt setzen und zugleich den Studierenden der Fachakademie die Gelegenheit geben, dieses Wissen in ihr berufliches Leben mitzunehmen.

Straubinger Tagblatt:
Und wie waren dann die Reaktionen innerhalb der Gruppe, als man dem Schrecken beim Besuch von Auschwitz und Birkenau quasi direkt gegenüberstand?

Iwona Roszkowski:
Die Aussage von Sebastian trifft es wohl sehr gut: „Dachau zu sehen, war schon schlimm. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es noch etwas Schlimmeres geben könnte.“

Schwester Judith:
Vor allem die Schilderungen des 90-jährigen Zeitzeugen Prof. Dr. Waclaw Dlugoborski wirkten sehr nachhaltig, was sich bei den Gesprächen mit den Studierenden der nächsten Tage zeigte.

Roman Schaffner:
Jedes Mal, wenn ich nach Birkenau komme, erschlägt mich die schiere Dimension und perfide Organisiertheit der einstigen Todesfabrik. Oft ist das, was man nicht sieht beziehungsweise nicht mehr sieht, nachhaltiger als das Drastische und Plakative.

Straubinger Tagblatt:
Gibt es ein Ereignis oder einen Moment, der von der Fahrt besonders in Erinnerung bleibt?

Iwona Roszkowski:
Die Emotionalität und das Einfühlungsvermögen der Jugendlichen ging uns Begleitern und den Studierenden tief unter die Haut. Einer der Jungs konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Er schämte sich kein bisschen dafür und redete of-
fen über seine Gefühle. Das zeugt von großer Charakterstärke.

Eva Bohrer:
Für mich war es der Augenblick, als ich die Kinderzeichnungen der Ausstellung in Auschwitz betrachtete. Diese Bilder, die auf einfache und naive Weise das Grauen spürbar machten.

Straubinger Tagblatt:
Herr Schaffner, Können Sie kurz erklären, um was es bei dem Projekt ging und wie daraus die Idee zur Fahrt nach Auschwitz und Krakau entstanden ist?

Roman Schaffner:
Die Geschichte ist Teil unserer Identität, der man sich nicht entziehen kann und ragt tief in die Gegenwart. Aus der Geschichte gelernt zu haben und dem verantwortungsvollen Umgang mit ihr verdanken wir letztlich auch unsere demokratischen Errungenschaften. Das heißt in der Konsequenz, sich jeder Form von Menschenverachtung entgegenzustellen. Wir wollten hierfür das Bewusstsein schärfen und mit angehenden Erzieherinnen einen sehr praxisorientierten Weg gehen, um derartige Themen unter sonderpädagogischen Aspekten zu erarbeiten – und zwar mit der Zielgruppe und nicht über sie hinweg. Die Skepsis und Hemmschwellen fielen nach und nach. Es bedurfte jedoch einige Zeit. Für alle war dieses Projekt ein prägendes Ereignis. Sowohl menschlich als auch aus beruflicher Perspektive.

Iwona Roszkowski:
Die Teilnehmer konnten viel voneinander lernen. Dies war eine der Grundintentionen. Die Thematik diente als Transportmittel.

Roman Schaffner:
Provokant könnte man sagen: Es hätte ja auch gereicht, zusammen mit den „Behinderten“ ein paar nette Bildchen zu malen… Die gewählte Projektform ging einen Schritt weiter. Es ging um echte Teilhabe und hätte auch missglücken können. Die Fachakademie ist ein starker und mutiger Partner. Was letztlich dazu führte, dass die Teilnehmer*innen einen Schritt über das hinausgingen, was sie sich selbst zutrauten, und sie konnten somit persönlich wachsen. Dass die Gruppenkonstellation mit der gewählten Thematik Alleinstellungscharakter besitzt war mir bewusst. Die Aussage von Seiten der Internationalen Jugendbildungsstätte in Oswiecim, dass in ihrem 30-jährigen Bestehen noch nie eine Gruppe Menschen mit geistiger Behinderung vor Ort war und Workshops belegte, verblüffte. Man hofft dort, dass sich andere dem Straubinger Beispiel anschließen.

Straubinger Tagblatt:
Schwester Judith, warum haben Sie sich dazu entschieden, mit Ihrer Einrichtung bei diesem doch recht aussergewöhnlichen Projekt mitzumachen?

Schwester Judith:
Für mich ist es wichtig, Theorie und Praxis in Einklang zu bringen. Wir versuchen, professionelle Erzieherinnen auszubilden und dabei gilt es, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den Blick zu nehmen. Letztes und dieses Schuljahr ist uns unter anderem Janusz Korczak und seine Pädagogik Leitbild. Deshalb hat mich die Idee des Projektes sofort angesprochen und motiviert, mit meinen Kolleginnen und ebenso den Studierenden an diesem inklusiven Projekt teilzunehmen. Ich bin froh und dankbar, dass sich alle fundiert vorbereitet und engagiert darauf eingelassen haben.

Interview: Stefanie Sobek

 

Begleitende Medien

Videos

Inklusion in der Gedenkstättenarbeit – Besuch der Gedenkstätte des ehemaligen NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Gedenkstättenarbeit im Rahmen der PfD Straubing, in Kooperation mit der Bildungsstätte St. Wolfgang, der Fachakademie für Sozialpädagogik, der Internationalen Jugendbildungsstätte Oswiecim, dem Museum Auschwitz.

* Eine Fotodokumentation – Brzezinka (Auschwitz-Birkenau) | © Wir sind Straubing – Roman Schaffner
* Eine Fotodokumentation – Brzezinka (Auschwitz-Birkenau) – Zwischen Erinnerungsarbeit und Erinnerungstourismus | © Wir sind Straubing – Roman Schaffner

Das Video-Fenster 'Fotodokumentation - Brzezinka (Auschwitz-Birkenau)' anzeigen ...
Das Video-Fenster 'Fotodokumentation - Brzezinka (Auschwitz-Birkenau) - Zwischen Erinnerungsarbeit und Erinnerungstourismus' anzeigen ...

 

 

nach oben
zurück